Einblicke in die Geschichte

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Landschaft

Die Gemeinde St. Christina (1.428 m), in der Grödner Talmitte gelegen, umfasst ein Gebiet von 31,83 km2. Nur ein geringer Teil davon eignet sich als Siedlungsraum, der überaus größere Teil ist Ödland. Dolomitgestein, einst Korallenriff in den Urtiefen des Tethysmeeres, bildet im Norden die imposanten Geislerspitzen, im Süden die Langkofelgruppe, das Wahrzeichen des Tales. An das helle Grau der Bergmassive grenzt das sanfte Grün der Almwiesen von Aschgler- und Cislesalm, Mont Sëura und Ciandevaves. Der Kontrast, der dabei entsteht, prägt die einzigartige Schönheit der Naturlandschaft. Was man vor rund 200 Jahren noch als „grässliches Kalkgebirge“ bezeichnete, ist inzwischen zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt worden (Juni 2009). Heute ist St. Christina ein vielbesuchter Fremdenverkehrsort. Der Tourismus hat in den letzten Jahrzehnten eine Konzentration der Bausubstanz am Talboden bewirkt. Hotels, Pensionen, Cafés reihen sich an der Hauptstraße eng aneinander, sodass sich ein langgestrecktes Siedlungsbild ergibt. Die sonnige, weniger stark geneigte Talseite ist dichter besiedelt als die steilere Schattenseite. Die Höfe von Ulëta, Praulëta, Runcaudië, Praplan und Insom reichen weit in den Waldgürtel hinein, der die Siedlung umschließt. Die Rodungslandschaft bezeugt den jahrhundertelangen Kampf des Menschen, dem Wald wertvolles Kulturland abzugewinnen. Über Jahrhunderte prägte der Einzelhof das Siedlungsbild, schließlich lebten in der Gemeinde lange Zeit fast ausschließlich Bauern. Die bis heute erhalten gebliebenen Höfe und Wiesen, die den Wald zerschnitten und in die Höhe drängten, sind Zeugen des hochmittelalterlichen Siedlungsausbaus.

Siedlungsgeschichte

Obwohl prähistorische Funde und vorrömische Toponyme auf eine zumindest punktförmige frühere Besiedelung Grödens hinweisen, kann eine sichere Siedlungskontinuität erst seit dem Hochmittelalter (11./12. Jahrhundert) angenommen werden. Anlässlich einer Schenkung des Grafen Otto von Andechs an das Hochstift Freising, scheint der Name Gröden im Jahre 999 erstmals urkundlich auf. Die erste Nennung fällt in jene Zeit, in der die intensivere Urbarmachung des Tales unter der Leitung geistlicher und weltlicher Grundherren begonnen hat. Die Hochstifte Freising und Augsburg waren an der Rodung und Kultivierung ihrer ertraglosen Besitzungen interessiert, schließlich blieben die angelegten Höfe in ihrem Eigentum und für die Verleihung des Nutzungsrechtes an Kolonisten bezogen sie jährliche Abgaben. Der Großteil der Siedler war rätoromanisch und stammte wohl aus der damals noch ladinisch sprechenden Ostflanke des Eisacktales. Das Kulturland wurde durch Rodung vergrößert, und ganz nach Art hochmittelalterlicher Landnahme wurden Einzelhöfe angelegt. Oberhalb der Getreidegrenze war die Gründung autarker, auch auf die Selbstversorgung mit eigenem Getreide angewiesener Höfe nicht mehr möglich.

Die erste geschichtliche Erwähnung St. Christinas findet sich in einem Urbar von 1277, wo von einer „Huba ad Sanctam Christinam“ (Hof zu St. Christina) die Rede ist. Älter sind die ersten urkundlich belegten Höfe. Bereits 1166 schenkte der Ministeriale Burchard von Völs dem Kloster Neustift „due armentare ed un ovile“, d.h. zwei Schwaighöfe und eine Schafschwaige. Von diesen findet sich heute nur noch die Schafschwaige Ulëta. Der Schwaighof war die typische Siedlungsform in Höhenlagen. Dort, wo das raue Klima keinen Ackerbau mehr gestattete, spezialisierte man sich auf die Viehhaltung. Vor allem die genügsamen Schafe waren den harten klimatischen Gegebenheiten gut angepasst. Für die Hofbewirtschaftung zinste der Schwaiger dem Grundherren in der Regel 300 Stück Käse im Jahr. Rund 20 solcher auf Viehhaltung spezialisierter Schwaighöfe gab es einst in Gröden. Die Besiedelung des Tales erfolgte von Westen nach Osten und von der Höhe in die Tiefe. Im 13. Jahrhundert lässt sich die Gründung von sechs Höfen (Pescosta, Puntea, Coi und Neu Coi, Prasquel und der genannten „Huba ad Sanctam Christinam“) nachweisen. Eigentümer der meisten war bereits Graf Meinhard II. von Tirol, dem es gelang Besitz und Einfluss seines Geschlechts massiv zu stärken. Im 14. Jahrhundert wurden neun Höfe (die Schwaige Zivarge, Brida, Lagromedia, Praulëta, Mestegros, Mez, Puzé, Curijel, Crëpa) angelegt, wobei der Bereich von Plesdinaz stark ausgebaut wurde. Einen großen Zuwachs erfuhr der Höfebestand im 15. Jahrhundert, als an die 30 neuen Höfe v.a. in den urbar gemachten Talniederungen gegründet wurden. Das rasche Bevölkerungswachstum bewirkte in den darauf folgenden Jahrhunderten eine Höfezerstückelung. Die Kleinst- und Zwerggüter konnten das Überleben der bäuerlichen Familie kaum mehr gewährleisten. Nebenerwerb und Auswanderung stellten für die Grödner bereits früh eine existenzielle Notwendigkeit dar.

Siedlungsentwicklung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

St. Christina war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Bauerndorf, wie es damals viele in Tirol gab. Um 1860 lagen die Häuser „zwischen den abhängenden Aeckern und Rainen angebracht, zu welchen man auf beschwerlicher Steigung gelangt“. Der Einzelhof als Paarhof bestimmte das Siedlungsbild: Das zumeist gemauerte Wohngebäude wurde vom hölzernen Wirtschaftsgebäude flankiert. Das Leben zahlreicher Generationen spielte sich zwischen Feuer- und Futterhaus ab. Im Feuerhaus waren Küche, Stube sowie einige Zimmer, im Futterhaus hingegen Stall, Speicher und Heuboden untergebracht. Die Dächer waren mit Schindeln aus Lärchenholz gedeckt, erst seit dem Zweiten Weltkrieg werden Ziegel und Eternitplatten verwendet. Reisende weisen bereits um 1850 immer wieder auf die „Reinlichkeit“ der Häuser hin, die jedoch nicht über die Ärmlichkeit ihrer Bewohner hinwegtäuschen konnte. Einer dieser frühen Durchreisenden war Johann Jakob Staffler, der bereits in den 1840ern das Tal besuchte. Seinen Aufzeichnungen nach hatte die Gemeinde damals an die 800 Einwohner, aufgeteilt auf 200 Familien. Man zählte rund 112 Häuser, außerdem besaß der Ort „eine eigene Schule, einen Wundarzt und ein Gasthaus unterhalb der Kirche.“

Mit ihrem spitz gegen den Himmel strebenden Turm dominierte die Kuratiekirche das Ortsbild. Aufgrund ihrer Lage auf einer Anhöhe „und wegen dem vorstehenden Trinkerhügel [Triekerhügel] ist schon mancher Wanderer vorbeigereist, ohne selbe beobachtet zu haben“, so Vian. Neben der Kirche war die Fischburg, das malerische Schlösschen auf der linken Talseite, gleich hinter der Gemeindegrenze zu Wolkenstein, eines der wenigen stattlichen Gebäude. Nachdem das Schloss Wolkenstein am Eingang des Langentales durch Blitz oder Felssturz zerstört worden war, ließ Graf Engelhard Dietrich von Wolkenstein 1622 die Fischburg erbauen. Fischteiche, die sich einst in Schlossnähe befunden haben sollen, gaben der Burg ihren Namen. Der Bau wurde 1641 vollendet und dann etwa 100 Jahre später (1750) das erste Mal restauriert. Die Burg diente bis etwa 1838 als Sommerresidenz des Grafengeschlechts und als Wohnung des Gerichtsverwalters. In der dem Hl. Kassian geweihten Schlosskapelle wurden auf einem Tragaltar Messen gelesen. Fixtermin war der 13. August, Tag des Hl. Kassian. Dann begab sich der Kurat von St. Christina ins Schloss, las die Messe und konnte anschließend mit der Grafenfamilie zu Mittag speisen.

Nachdem das Gericht 1828 aufgelöst worden und die Gerichtsbarkeit von der Staatsverwaltung übernommen worden war, schenkte Graf Leopold von Wolkenstein das kleine Schloss 1843 den Gemeinden St. Christina und Wolkenstein. Diese verwendeten es als Armenhaus und Altersheim. Allerdings war das „von Schmutz strotzende und durch und durch verwüstete Schloss“ nicht die beste Unterkunft für kränkliche Menschen. So wird um 1890 berichtet: „Die Schloßkapelle mit hübschen Stukkaturarbeiten dient als Schlafgemach, der Altar ist aus derselben entfernt und befindet sich in einem anderen Schlaf- und Wohnzimmer, die Kellertreppen und unteren Gänge sind mit Kehricht verschüttet und theilweise auch eingestürzt, die Ziegeldächer voll Lücken u.s.w. und es ist wirklich bedauerlich, dass die Gemeinde so gar nichts für die Erhaltung dieses ihr als Armenhaus resp. Armenunterkunft doch so nothwendigen Gebäudes thut.“

Anscheinend war das ganze Gebäude „gänzlich verwahrlost“ und es gehörten „starke Nerven zu einem Besuch desselben“. Den Gemeinden fehlten jedoch die notwendigen Mittel zur Restaurierung. Erst nach jahrelangen Geldsammlungen gelang es der Gemeinde St. Christina 1871 ein neues Spital bei der Kirche zu erbauen. Das Material lieferte die Gemeinde, die Bevölkerung leistete freiwillige Robotdienste. Vor allem Kurat Martin Runggaldier zeigte großen Einsatz. Man erzählte, er wäre während der Beichte regelrecht aus dem Beichtstuhl gestiegen, um die Bauarbeiten beaufsichtigen zu können und nachts mit dem Meterband um den Bau geschlichen, um zu kontrollieren, ob die Maße wohl eingehalten worden wären. Obwohl der Begriff „Spital“ heute eine andere Bedeutung hat, handelte es sich damals weniger um Orte medizinischer Behandlung, als vielmehr um eine karitative Einrichtung zur Unterbringung und Versorgung chronisch kranker, armer, geisteskranker oder alter Gemeindeangehöriger. Am 6. August 1877 übernahmen die barmherzigen Schwestern die Krankenpflege. Der Armenfond der Gemeinde scheint damals nicht sehr vermögend gewesen zu sein. Um 1890 bezog er jährlich an die 266.08 Gulden aus der Mahlknecht’schen Stiftung und anderen Spenden, was anscheinend nicht ausreichte, sodass wirklich nur den bedürftigsten Ortsarmen eine notdürftige Versorgung gewährleistet wurde. So schreibt Vian: „Es finden sich in Gröden wie überall freiwillige und unfreiwillige Bettler genug, welche besonders in Wolkenstein und St. Kristina an fremde Thüren klopfen müssen, oder aus Arbeitsscheue klopfen wollen.“ Von 1973 bis 2005 wurde das Spital zur Mittelschule adaptiert, seither wartet es auf eine neue Bestimmung. Die Fischburg befindet sich seit 1926 im Besitz des venezianischen Barons Carlo Franchetti.

Ein weiteres stattliches Haus war das Haus zu „Col dala Pelda“. Zwei ledige Fräulein der Familie von Wolkenstein hatten es 1640 erbauen lassen und bis zu ihrem Tode bewohnt. Danach diente es als Gerichtshaus. Östlich des Hauses, auf einem Hügel („Col dala Forcia“, d.h. Galgenhügel), stand ein gemauerter Galgen. Das kleine Gericht Wolkenstein, das 1200 bis 1824 im Talinneren bestand, übte auch die Blutgerichtsbarkeit aus. Verbrecher wurden an den Pranger am Dossesplatz gestellt und der öffentlichen Schande ausgesetzt (der Pranger stand bis kurz vor 1800), bei schweren Verbrechen auf dem „Col dala Forcia“ erhängt. Angeblich waren noch um 1860 Mauerreste zu erkennen und ältere Leute betraten den Ort mit Missbehagen. Die Gemeinde St. Christina gehörte seit etwa 1200 zum Gericht Gufidaun, ab 1828 zum Gerichtsbezirk Kastelruth.

Anscheinend wurden von 1880 bis 1890 in der Gemeinde nur drei neue Häuser erbaut. Um die Kirche verdichtete sich die Bausubstanz. Dort befanden sich das alte Mesnerhaus, das 1550 erbaute Widum (1902 vergrößert), das 1834/35 erbaute Schul- und Gemeindehaus und das Gasthaus zu Dëur. Eine Viertelstunde in nordöstlicher Richtung davon gelangte man zur Häusergruppe Dosses mit einem zweiten Gasthaus. Am 3. Juni fand dort alljährlich der Viehmarkt statt. 1912 begann man mit dem Bau einer neuen, geräumigen Grundschule, die erst nach dem Ersten Weltkrieg fertig gestellt werden konnte. Die Gemeindeverwaltung verblieb noch lange im Gebäude am Kirchplatz, anlässlich der Ski-WM (1970) wurde dann das heutige Gemeindehaus erbaut.

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